Insolvenzrecht – Anspruch des vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommenen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens
„1.
Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der sich gegen einen Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. verteidigen will, hat ein berechtigtes Interesse auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens.
2.
Im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Auskunftsanspruch ist von der Gerichtsverwaltung das Geheimhaltungsinteresse der Verfahrensbeteiligten gegen das Informationsinteresse des Geschäftsführers abzuwägen.“
Hintergrund
In dem vom OLG zu entscheidenden Fall wurde der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzverwalter vor dem Landgericht Heidelberg nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. wegen Zahlungen in Höhe von insgesamt knapp 5,5 Mio. € in Anspruch genommen, die von dem Antragsteller als Geschäftsführer zwischen dem Zeitpunkt der Insolvenzreife im Februar 2014 und dem durch den Antragsteller im März 2014 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit vorgenommen worden seien.
Der Geschäftsführer der Schuldnerin hat bei dem Antragsgegner Einsicht in die gerichtlichen Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin beantragt, um die von dem Insolvenzverwalter geltend gemachten Ansprüche zu überprüfen. Dem ist der Insolvenzverwalter entgegengetreten. Das Auskunftsrecht des Antragstellers beschränke sich auf die Einsichtnahme in die Buchhaltungsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens. Diese Unterlagen seien auch zur Verfügung gestellt worden. Es fehle an einem erforderlichen rechtlichen Interesse an der begehrten Akteneinsicht.
Der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hat sein rechtliches Interesse dann dahingehend konkretisiert, dass er auf die Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens angewiesen sei, um in Erfahrung zu bringen, ob der Insolvenzverwalter Zahlungen an Gläubiger, wegen derer Ansprüche aus § 64 GmbHG a. F. geltend gemacht werden, erfolgreich gemäß der §§ 129 ff. InsO angefochten habe.
OLG – Anspruch Geschäftsführer besteht
Das OLG Karlsruhe urteilte, dass dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin ein Akteneinsichtsrecht aus § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO zusteht. Eine Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch eines Dritten gemäß § 299 Abs. 2 ZPO stellt einen Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG dar. § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akteneinsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange des Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein.
Nach Ansicht des OLG Karlsruhe liegen diese Voraussetzungen hier vor. Der Antragsteller begehrt Akteneinsicht, um sich gegen einen Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. zu verteidigen. Dieser setzt voraus, dass von der Gemeinschuldnerin nach Eintritt ihrer Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung ihrer Überschuldung Zahlungen geleistet worden sind. Für die Verteidigung kommt es unter anderem maßgeblich darauf an, ob und wann Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin eingetreten ist. Eben diese Zahlungsunfähigkeit ist aber Gegenstand des Insolvenzverfahrens.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.04.2023 – 24 VA 4/22
In unserer interdisziplinären Kanzlei beraten wir insbesondere Geschäftsführer im Umgang mit einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder während eines bestehenden Insolvenzverfahrens.